(772.1) 69:0.1 IM Emotionalen übertrifft der Mensch seine tierischen Vorfahren in seiner Fähigkeit, Humor, Kunst und Religion zu schätzen. Im Sozialen zeigt der Mensch seine Überlegenheit dadurch, dass er ein Werkzeughersteller, ein Kommunikator und ein Erschaffer von Institutionen ist.
(772.2) 69:0.2 Wenn menschliche Wesen über lange Zeit soziale Gruppen aufrechterhalten, entstehen in den Aktivitäten solcher Zusammenschlüsse immer gewisse Strömungen, die dann in einer Institutionalisierung gipfeln. Die meisten menschlichen Einrichtungen haben sich als arbeitssparend erwiesen, während sie zugleich einen Beitrag an die Erhöhung der Gruppensicherheit leisten.
(772.3) 69:0.3 Der zivilisierte Mensch ist sehr stolz auf Art, Stabilität und Kontinuität seiner festen Institutio-nen, aber alle menschlichen Institutionen sind nur die angesammelten Sitten der Vergangenheit, wie die Tabus sie aufrechterhalten und die Religion sie mit Würde ausgestattet hat. Solche Vermächtnisse werden zu Traditionen, und Traditionen wandeln sich letztenendes in Konventionen um.
(772.4) 69:1.1 Alle menschlichen Institutionen kommen irgendeinem vergangenen oder gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedürfnis entgegen, obwohl ihre Überentwicklung unfehlbar den Wert des Einzelnen herabsetzt, indem die Persönlichkeit in den Schatten tritt und die Initiative beschnitten wird. Der Mensch sollte seine Institutionen eher kontrollieren, als diesen Schöpfungen der vorrückenden Zivilisation erlauben, ihn zu beherrschen.
(772.5) 69:1.2 Die menschlichen Institutionen zerfallen in drei allgemeine Klassen:
(772.6) 69:1.3 1. Die Institutionen der Selbst-Erhaltung. Diese Institutionen umfassen die Praktiken, die aus dem Hunger und den mit ihm verbundenen Instinkten der Selbsterhaltung gewachsen sind. Sie umfassen die Industrie, das Eigentum, den Kampf um den Profit und das ganze regulierende Räderwerk der Gesellschaft. Früher oder später fördert der Angst-Instinkt die Errichtung all dieser das Überleben gewährleistenden Institutionen durch Schaffung von Tabus und Konventionen und mit religiöser Billigung. Aber Furcht, Unwissenheit und Aberglaube haben beim frühen Entstehen und bei der späteren Entwicklung aller menschlichen Institutionen eine Schlüsselrolle gespielt.
(772.7) 69:1.4 2. Die Institutionen der Selbst-Fortpflanzung. Das sind die Einrichtungen der Gesellschaft, die sexuellem Hunger, mütterlichem Instinkt und den höheren zarten Gefühlen der Rassen entstammen. Sie umfassen die sozialen Schutzvorrichtungen von Heim und Schule, Familienleben, Erziehung, Ethik und Religion. Unter sie fallen auch Heiratsbräuche, defensives Kriegswesen und Wohnungsbau.
(772.8) 69:1.5 3. Die Institutionen der Selbst-Beglückung. Das sind die Praktiken, die aus den Eitelkeitstendenzen und den mit Stolz verbundenen Empfindungen hervorgehen, und sie umfassen die in Kleidung und persönlichem Schmuck herrschenden Sitten, die gesellschaftlichen Bräuche, Krieg aus Ruhmsucht, Tanz, Vergnügungen, Spiele und andere Arten sinnlicher Befriedigung. Aber die Zivilisation hat nie besondere Institutionen der Selbst-Beglückung entwickelt.
(773.1) 69:1.6 Diese drei Gruppen sozialer Praktiken sind eng miteinander verknüpft und bis ins Kleinste voneinander abhängig. Auf Urantia bilden sie eine komplexe Organisation, die als ein einziger sozialer Mechanismus funktioniert.
(773.2) 69:2.1 Die primitive Industrie entstand langsam als Absicherung gegen die Schrecken der Hungersnot. Schon früh in seinem Dasein begann der Mensch von einigen Tieren zu lernen, die zur Zeit reicher Ernte einen Nahrungsvorrat für die Tage des Mangels anlegten.
(773.3) 69:2.2 Bevor die Volksstämme zu sparen und eine primitive Industrie zu schaffen begannen, war ihnen im Allgemeinen bitterer Mangel und wirkliches Leiden beschieden. Der erste Mensch musste für seine Nahrung mit der gesamten Tierwelt in Wettbewerb treten. Ein solcher Wettbewerb zieht den Menschen immer auf die Stufe des Tieres herab; Armut ist sein natürlicher und tyrannischer Zustand. Reichtum ist keine natürliche Gabe; er resultiert aus Arbeit, Wissen und Organisation.
(773.4) 69:2.3 Der primitive Mensch entdeckte bald die Vorteile des Zusammenschlusses. Zusammenschluss führte zu Organisation, und erstes Resultat der Organisation war die Arbeitsteilung mit ihrer augenblicklichen Zeit- und Materialersparnis. Diese Arbeitsspezialisierungen geschahen in Anpassung an Druck — auf dem Weg des geringsten Widerstandes. Die primitiven Wilden verrichteten wirkliche Arbeit nie willig oder gutgelaunt. Sie waren dazu nur unter dem Zwang der Notwendigkeit bereit.
(773.5) 69:2.4 Der primitive Mensch hatte einen Widerwillen gegen harte Arbeit, und er beeilte sich nie, außer er befand sich in großer Gefahr. Das Zeitelement in der Arbeit, die Idee, eine gegebene Aufgabe innerhalb bestimmter zeitlicher Grenzen auszuführen, ist eine ganz und gar moderne Vorstellung. Unsere Altvorderen waren nie in Eile. Es war diese doppelte Anforderung des intensiven Existenzkampfes und des ständig vorrückenden Lebensstandards, welche die von Natur aus trägen frühen Menschenrassen auf den Weg der Industrie drängte.
(773.6) 69:2.5 Arbeit, planvolles Bemühen unterscheidet den Menschen vom Tier, dessen Anstrengungen weitgehend instinktiv sind. Die Notwendigkeit zu arbeiten ist des Menschen allerhöchste Segnung. Alle Stabsangehörigen des Fürsten arbeiteten; sie unternahmen viel, um auf Urantia das Ansehen der physischen Arbeit zu erhöhen. Adam war ein Gärtner; der Gott der Hebräer arbeitete — er war der Schöpfer und Erhalter aller Dinge. Die Hebräer waren der erste Volksstamm, der dem Fleiß höchsten Wert beimaß; sie dekretierten als erstes Volk, dass „wer nicht arbeitet, auch nichts zu essen haben soll“. Aber viele Religionen der Welt kehrten zu den alten Idealen des Müßiggangs zurück. Zeus war ein Genießer, und Buddha wurde ein nachdenklicher Verehrer des Nichtstuns.
(773.7) 69:2.6 Die Sangikstämme waren recht arbeitsam, wenn sie fern von den Tropen lebten. Aber es gab einen langen, langen Kampf zwischen den müßigen Anhängern der Magie und den Aposteln der Arbeit — den Vorausschauenden.
(773.8) 69:2.7 Zum ersten Mal übten sich die Menschen in Weitblick, als es um die Erhaltung von Feuer, Wasser und Nahrung ging. Aber der primitive Mensch war ein geborener Spieler; er versuchte stets, etwas im Austausch gegen nichts zu erlangen, und nur allzu oft wurde in diesen frühen Zeiten ein sich nach langer geduldiger Arbeit einstellender Erfolg Zauberkräften zugeschrieben. Es dauerte lange, bis Magie der Vorausschau, der Selbstverleugnung und dem Fleiß wich.
(773.9) 69:3.1 In der primitiven Gesellschaft wurden die Arbeitsteilungen zuerst durch natürliche und später durch soziale Umstände bedingt. Die frühen Spezialisierungen in der Arbeit geschahen in dieser Reihenfolge:
(774.1) 69:3.2 1. Auf dem Geschlecht beruhende Spezialisierung. Die Arbeit der Frau ergab sich aus der selektiven Gegenwart des Kindes; von Natur aus lieben die Frauen die Säuglinge stärker als die Männer. So fiel der Frau das Einerlei der täglichen Arbeit zu, während der Mann Jäger und Krieger wurde und über eindeutige Perioden der Arbeit und Ruhe verfügte.
(774.2) 69:3.3 Durch alle Zeitalter hindurch haben die Tabus darauf hingewirkt, die Frau strikte in den Grenzen ihrer Domäne zu halten. Der Mann hat höchst eigensüchtig die angenehmere Arbeit gewählt und der Frau die immer gleich bleibende Schinderei überlassen. Der Mann hat sich stets geschämt, Frauenarbeit auszuführen, wohingegen die Frau sich nie gesträubt hat, Männerarbeit zu verrichten. Aber es muss festgehalten werden, dass Männer und Frauen seltsamerweise beim Bau und bei der Ausstattung des Heims immer zusammengearbeitet haben.
(774.3) 69:3.4 2. Veränderungen, die auf Alter und Krankheit beruhen. Diese Unterschiede waren bestimmend für die nächste Arbeitsteilung. Alte Männer und Kampfunfähige wurden schon früh zu Werkzeug- und Waffenherstellung angehalten. In späteren Zeiten wurden sie dem Bau von Bewässerungsanlagen zugeteilt.
(774.4) 69:3.5 3. Auf Religion beruhende Differenzierung. Die Medizinmänner waren die ersten menschlichen Wesen, die von physischer Arbeit befreit wurden; sie waren der allererste höhere Berufsstand. Die Schmiede waren eine kleine Gruppe, die als Magier mit den Medizinmännern wetteiferten. Ihre Fertigkeit im Umgang mit Metallen flößte den Menschen Furcht ein. Die „weißen Schmiede“ und die „schwarzen Schmiede“ ließen den frühen Glauben an weiße und schwarze Magie entstehen. Und dieser Glaube wurde später Teil des Aberglaubens an gute und böse Phantome, an gute und böse Geister.
(774.5) 69:3.6 Die Schmiede waren die erste nichtreligiöse Gruppe, die spezielle Privilegien genoss. Man betrachtete sie als neutral in Kriegszeiten, und diese zusätzliche Freizeit führte dazu, dass sie als Klasse zu den Politikern der primitiven Gesellschaft wurden. Aber weil sie ihre Privilegien schamlos ausnutzten, machten sich die Schmiede überall verhasst, und die Medizinmänner ließen keine Gelegenheit ungenutzt, um den Hass auf ihre Konkurrenten zu schüren. In dieser ersten Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion gewann die Religion (der Aberglaube). Nachdem die Schmiede aus den Dörfern verjagt worden waren, betrieben sie außerhalb der Siedlungen die ersten Gasthöfe, die ersten öffentlichen Unterkünfte.
(774.6) 69:3.7 4. Herr und Sklave. Die nächste Arbeitsteilung ging aus den Beziehungen zwischen Siegern und Besiegten hervor, und das bedeutete den Anfang der menschlichen Sklaverei.
(774.7) 69:3.8 5. Auf unterschiedlicher physischer und mentaler Begabung beruhende Differenzierung. Weitere Arbeitsteilungen wurden durch die den Menschen angeborenen Unterschiede begünstigt; die menschlichen Wesen werden nicht alle gleich geboren.
(774.8) 69:3.9 Die ersten Spezialisten der Industrie waren die Feuersteinabsplitterer und die Steinmetzen; als nächste kamen die Schmiede. Später entwickelte sich die Gruppenspezialisierung; ganze Familien und Sippen widmeten sich nun bestimmten Arbeitsformen. Der Ursprung einer der ersten Priesterkasten — abgesehen von den Stammesmedizinmännern — lag in der abergläubischen Verherrlichung einer Familie von geschickten Schwertemachern.
(774.9) 69:3.10 Die ersten Gruppenspezialisten der Industrie waren Steinsalzexporteure und Töpfer. Die Frauen stellten die schmucklose Töpferware her und die Männer die phantasievolle. Bei einigen Stämmen nähten und woben die Frauen, bei anderen die Männer.
(774.10) 69:3.11 Die ersten Händler waren Frauen; sie dienten als Spioninnen und betrieben den Handel nebenbei. Bald weitete sich der Handel aus, wobei die Frauen als Vermittlerinnen — Zwischenhändlerinnen — wirkten. Hierauf kam die Klasse der Kaufleute, die auf ihre Dienste eine Kommission, Profit, erhoben. Die Zunahme des Tauschhandels zwischen Gruppen entwickelte sich zum Handel; und nach dem Warenaustausch setzte der Austausch gelernter Arbeitskräfte ein.
(775.1) 69:4.1 Gerade wie auf Heirat durch Gefangennahme Heirat durch Vertrag folgte, so folgte auf Aneignung durch Überfälle der Tauschhandel. Aber eine lange Periode von Piratentum schob sich zwischen den früh geübten stillen Tauschhandel und den späteren, mit modernen Tauschmethoden arbeitenden Handel.
(775.2) 69:4.2 Die ersten Tauschgeschäfte wurden von bewaffneten Händlern geleitet, die ihre Waren an einem neutralen Ort deponierten. Die ersten Märkte wurden von Frauen abgehalten; sie waren die ersten Händler, und zwar deshalb, weil sie die Lasten zu tragen hatten; die Männer waren Krieger. Schon sehr früh entwickelte sich der Handelsschalter, eine Mauer, die breit genug war, um die Händler daran zu hindern, mit Waffen aufeinander loszugehen.
(775.3) 69:4.3 Man benutzte einen Fetisch, der über die zum stillen Tausch deponierten Güter zu wachen hatte. Solche Marktplätze waren vor Diebstahl sicher; nichts wurde davon entfernt außer zu Tausch oder Erwerb; mit einem über sie wachenden Fetisch waren die Waren immer in Sicherheit. Die ersten Händler waren innerhalb ihrer eigenen Stämme von gewissenhaftester Ehrlichkeit, fanden es aber durchaus in Ordnung, von weither kommende Fremde zu betrügen. Selbst die frühen Hebräer hielten sich bei ihren Geschäften mit Nichtjuden an andere ethische Regeln.
(775.4) 69:4.4 Ganze Zeitalter stillen Tauschhandels gingen vorüber, ehe die Menschen einander auf dem geheiligten Marktplatz unbewaffnet begegneten. Auf denselben Marktplätzen wurden die ersten Heiligtümer errichtet, und man bezeichnete sie später in einigen Ländern als „Zufluchtsstätten“. Jeder Flüchtling, der den Marktplatz erreichen konnte, war außer Gefahr und sicher vor Angriffen.
(775.5) 69:4.5 Die ersten Gewichte waren Weizen- und andere Getreidekörner. Das erste Tauschmittel war ein Fisch oder eine Ziege. Später wurde die Kuh zu einer Tauscheinheit.
(775.6) 69:4.6 Die heutige Schrift hat ihren Ursprung in den ersten Handelsaufzeichnungen; das erste literarische Erzeugnis des Menschen war ein den Handel förderndes Schriftstück, eine Werbung für Salz. Viele der früheren Kriege wurden um natürliche Vorkommen wie Feuerstein-, Salz- und Metalllager geführt. Der erste förmliche Stammesvertrag betraf die gemeinsame Ausbeutung eines Salzlagers. An solchen Vertragsorten gab es Gelegenheit zu freundlichem und friedlichem Gedankenaustausch und zur Vermischung verschiedener Stämme.
(775.7) 69:4.7 Die Schrift durchlief die Stadien des „Botschaften-Stocks“, der geknoteten Schnüre, der Bildschrift, der Hieroglyphen und der Perlengürtel bis zu den ersten symbolischen Alphabeten. Die Botschaftsübermittlung entwickelte sich aus primitiven Rauchsignalen über Läufer und Reiter zu Eisenbahnen und Flugzeugen sowie zur telegrafischen, telefonischen und Rundfunkkommunikation.
(775.8) 69:4.8 Neue Ideen und bessere Methoden wurden durch die einstigen Handelsleute in der ganzen bewohnten Welt herumgetragen. Handel, verbunden mit Abenteuerlust, führte zu Erforschung und Entdeckung. Und all das rief den Transport ins Leben. Der Handel ist der große Zivilisator gewesen, indem er die kreuzweise Befruchtung der Kulturen förderte.
(775.9) 69:5.1 Kapital ist Arbeit, gebraucht im Hinblick auf Zukünftiges unter Verzicht auf Gegenwärtiges. Ersparnisse stellen eine Form von Versorgungs- und Überlebensversicherung dar. Nahrungshortung entwickelte die Selbstdisziplin und schuf die ersten Probleme zwischen Kapital und Arbeit. Derjenige, der Nahrung besaß und sie vor Räubern zu schützen wusste, hatte gegenüber einem, der keine besaß, einen eindeutigen Vorteil.
(775.10) 69:5.2 Der frühe Banquier war der heldenhafteste Mann des Stammes. Bei ihm waren die Gruppenschätze hinterlegt, und der ganze Klan verteidigte seine Hütte im Falle eines Angriffs. So führte die Anhäufung individuellen Kapitals und Gruppenreichtums sofort zu militärischer Organisation. Zu Beginn dienten solche Vorsichtsmaßnahmen nur der Verteidigung des Besitzes gegen feindliche Plünderer, aber später wurde es zur Gewohnheit, die Schlagkraft der militärischen Organisation dadurch aufrechtzuerhalten, dass man Beutezüge gegen Besitz und Reichtum benachbarter Stämme unternahm.
(776.1) 69:5.3 Die grundlegenden Anstöße, die zur Anhäufung von Kapital führten, waren:
(776.2) 69:5.4 1. Hunger — gepaart mit Weitblick. Sparen und Konservieren von Nahrung bedeutete Macht und Bequemlichkeit für diejenigen, die genügend Voraussicht besaßen, um auf diese Weise für künftige Bedürfnisse vorzusorgen. Die Anlage von Nahrungsvorräten war eine gute Versicherung gegen Hungersnot und Katastrophen. Und die primitiven Sitten in ihrer Gesamtheit waren wirklich darauf ausgerichtet, den Menschen zu helfen, die Gegenwart der Zukunft unterzuordnen.
(776.3) 69:5.5 2. Liebe zur Familie — der Wunsch, für ihre Bedürfnisse zu sorgen. Kapital stellt Eigentum dar, das man trotz des durch den täglichen Bedarf ausgeübten Drucks erspart, um sich gegen die Forderungen der Zukunft zu versichern. Ein Teil dieser zukünftigen Bedürfnisse betrifft unter Umständen die eigenen Nachkommen.
(776.4) 69:5.6 3. Eitelkeit — der sehnliche Wunsch, seinen angehäuften Besitz zur Schau zu stellen. Besondere Kleidung war eines der ersten Kennzeichen betonter Vornehmheit. Schon bald schmeichelte es dem Stolz der Menschen, sich mit einer Sammlung zu brüsten.
(776.5) 69:5.7 4. Rang — das heftige Verlangen, soziales und politisches Prestige zu kaufen. Früh entstand ein Geschäfts-Adel. Die Aufnahme in seine Reihen hing davon ab, ob jemand dem Königshaus einen besonderen Dienst erweisen konnte, oder sie wurde unverhohlen gegen Bezahlung von Geld gewährt.
(776.6) 69:5.8 5. Macht — der unbändige Drang, Herr zu sein. Das Ausleihen von Reichtum wurde als Mittel zur Versklavung gehandhabt, denn der Zinssatz jener alten Zeiten betrug jährlich hundert Prozent. Die Geldverleiher machten sich durch die Schaffung eines stehenden Heeres von Schuldnern selbst zu Königen. Leibeigene Diener waren eine der frühesten Formen angehäuften Eigentums, und in alter Zeit ging die Versklavung durch Verschuldung sogar bis zur Verfügung über den Körper nach dem Tode.
(776.7) 69:5.9 6. Furcht vor den Geistern der Verstorbenen — Abgaben an die Priester als Schutz. Die Menschen begannen schon früh, den Priestern im Hinblick auf den Tod aus der Überlegung heraus Geschenke zu machen, eine solche Verwendung ihres Besitzes würde ihnen den Weg durch das nächste Leben ebnen. Dadurch wurden die Priester sehr reich; sie kamen unter den alten Kapitalisten an erster Stelle.
(776.8) 69:5.10 7. Der Geschlechtstrieb — der Wunsch, eine oder mehrere Frauen zu kaufen. Die erste Handelsform des Menschen war der Frauentausch; er ging dem Pferdehandel weit voraus. Aber der Tauschhandel mit sexuellen Sklaven brachte die Gesellschaft nie voran; ein solcher Kommerz war und ist für eine Rasse schimpflich, denn er war der Entwicklung des Familienlebens hinderlich und verschmutzte zugleich die biologische Gesundheit höherer Völker.
(776.9) 69:5.11 8. Zahlreiche Formen von Selbst-Beglückung. Einige trachteten nach Reichtum, weil er Macht verlieh; andere rackerten sich für Besitz ab, weil er Behagen bedeutete. Die frühen Menschen (und einige spätere) neigten dazu, ihr Gut für Luxus zu verschwenden. Berauschende Getränke und Drogen faszinierten die primitiven Rassen.
(776.10) 69:5.12 Mit der Entwicklung der Zivilisation gab es für die Menschen neue Anreize zum Sparen; rasch gesellten sich zum ursprünglichen Nahrungshunger neue Bedürfnisse. Armut wurde derart verabscheut, dass man annahm, nur die Reichen würden beim Tod direkt in den Himmel gelangen. Man maß dem Besitz einen derart hohen Wert bei, dass, wer ein protziges Fest gab, seinen Namen mit einem Schlag von Schande befreien konnte.
(777.1) 69:5.13 Angehäufter Reichtum wurde früh zum Kennzeichen gesellschaftlichen Ansehens. Bei gewissen Stämmen häuften Einzelne über Jahre Besitz an, nur um damit zu beeindrucken, dass sie ihn an einem Festtag in Flammen aufgehen ließen oder großzügig unter die Stammesbrüder verteilten. Das machte aus ihnen große Männer. Auch heutige Völker verteilen mit Genuss Weihnachtsgeschenke in Fülle, während reiche Männer Schenkungen an große philantropische und erzieherische Institutionen machen. Die Technik des Menschen wechselt, aber seine Grundeinstellung bleibt dieselbe.
(777.2) 69:5.14 Es muss aber gerechterweise auch daran erinnert werden, dass manch ein damaliger reicher Mann einen großen Teil seines Vermögens aus Angst davor verteilte, von den nach seinen Schätzen Gierenden umgebracht zu werden. Reiche Männer pflegten Sklaven dutzendweise zu opfern, um ihre Verachtung des Reichtums zu zeigen.
(777.3) 69:5.15 Obwohl das Kapital die Befreiung des Menschen begünstigt hat, hat es auch seine gesellschaftliche und industrielle Organisation gewaltig kompliziert. Der Missbrauch des Kapitals durch unfaire Kapitalisten kann nicht die Tatsache beseitigen, dass es die Grundlage der modernen industriellen Gesellschaft ist. Dank Kapital und Erfindergeist erfreut sich die gegenwärtige Generation eines höheren Freiheitsgrades als irgendeine ihr auf der Erde vorausgegangene. Das sei als Tatsache vermerkt und nicht zur Rechtfertigung der vielen Missbräuche des Kapitals durch seine gedankenlosen und eigensüchtigen Verwalter.
(777.4) 69:6.1 Die primitive Gesellschaft mit ihren vier Abteilungen — der industriellen, regulierenden, religiösen und militärischen — bildete sich unter Mitwirkung von Feuer, Tieren, Sklaven und Eigentum.
(777.5) 69:6.2 Das Feuerschlagen hat den Menschen mit einem einzigen Sprung für immer vom Tier geschieden; es ist die grundlegende menschliche Erfindung oder Entdeckung. Das Feuer versetzte den Menschen in die Lage, nachts am Boden zu bleiben, weil alle Tiere es fürchten. Das Feuer lud zu abendlichem geselligen Beisammensein ein. Es schützte nicht nur vor Kälte und wilden Tieren, sondern wurde auch zur Sicherheit vor Geistern benutzt. Man brauchte es zunächst mehr um des Lichtes als der Wärme willen; manche rückständigen Stämme weigern sich zu schlafen, wenn nachts keine Flamme brennt.
(777.6) 69:6.3 Das Feuer war ein großer Zivilisator. Es verschaffte dem Menschen zum ersten Mal die Möglichkeit, ohne Verlust altruistisch zu sein, indem es ihm erlaubte, einem Nachbarn glühende Kohle zu geben, ohne dabei etwas einzubüßen. Das Herdfeuer, das von der Mutter oder der ältesten Tochter unterhalten wurde, war der erste Erzieher, denn es verlangte Wachsamkeit und Verlässlichkeit. Das früheste Heim war kein Gebäude, sondern die um das Feuer, den häuslichen Herd versammelte Familie. Wenn ein Sohn ein neues Heim gründete, entnahm er dem häuslichen Herd ein brennendes Holzscheit.
(777.7) 69:6.4 Obwohl Andon, der Entdecker des Feuers, es vermied, es zu einem Gegenstand der Anbetung zu machen, sahen viele seiner Nachkommen in der Flamme einen Fetisch oder einen Geist. Sie konnten sich die hygienischen Vorteile des Feuers nicht zunutze machen, weil sie ihre Abfälle nicht verbrannten. Der primitive Mensch fürchtete sich vor dem Feuer und gab sich immer Mühe, es bei guter Laune zu halten; deshalb besprühte er es mit Weihrauch. Unter gar keinen Umständen spuckten unsere Altvorderen in ein Feuer oder bewegten sich zwischen jemandem und einem brennenden Feuer. Die frühe Menschheit hielt sogar die zum Entfachen des Feuers verwendeten Eisenpyrite und Feuersteine für heilig.
(777.8) 69:6.5 Es war eine Sünde, eine Flamme auszulöschen; wenn eine Hütte Feuer fing, ließ man sie abbrennen. Die in Tempeln und Heiligtümern brennenden Feuer waren heilig und durften nie ausgehen, außer dass es Brauch war, alle Jahre oder nach einer Katastrophe neue Flammen anzuzünden. Man wählte die Frauen als Priesterinnen, weil sie über die häuslichen Feuer wachten.
(778.1) 69:6.6 Die frühen Mythen darüber, wie das Feuer von den Göttern herabkam, entstanden aus der Beobachtung von Brände verursachenden Blitzen. Die Vorstellungen vom übernatürlichen Ursprung des Feuers führten direkt zu seiner Anbetung, und Feueranbetung führte zu der Sitte, „durchs Feuer zu gehen“, die bis in die Zeit Moses weiter bestand. Und noch immer ist die Idee lebendig, nach dem Tod durch das Feuer zu gehen. Der Feuermythos stellte in früher Zeit einen großen Sprung dar und überdauert noch im Symbolismus der Parsen.
(778.2) 69:6.7 Das Feuer führte zum Kochen, und „Rohesser“ wurde zu einem Spottnamen. Kochen senkte den für die Verdauung benötigten Aufwand an Lebensenergie und ließ dadurch dem Menschen der Frühzeit etwas Kraft für gesellschaftliche Kultur übrig. Gleichzeitig senkte die Viehwirtschaft die zur Nahrungsbeschaffung erforderlichen Anstrengungen, was Zeit für gesellschaftliche Aktivitäten verschaffte.
(778.3) 69:6.8 Es sollte daran erinnert werden, dass das Feuer der Metallbearbeitung die Türen öffnete und zu der späteren Entdeckung der Dampfkraft und zu den heutigen Verwendungen der Elektrizität führte.
(778.4) 69:7.1 Zunächst einmal war die gesamte Tierwelt dem Menschen feind; die Menschenwesen mussten lernen, sich vor den Tieren zu schützen. Am Anfang aß der Mensch die Tiere, lernte aber später, sie zu domestizieren und sich dienstbar zu machen.
(778.5) 69:7.2 Die Domestizierung der Tiere kam durch Zufall zustande. Die Wilden jagten die Herden etwa so wie die Indianer Amerikas die Büffel. Durch Einkreisen der Herden brachten sie die Tiere unter Kontrolle, was ihnen erlaubte, sie nur dann zu töten, wenn sie Nahrung brauchten. Später wurden Pferche gebaut und ganze Herden gefangen.
(778.6) 69:7.3 Das Zähmen einiger Tiere fiel leicht, aber wie der Elefant pflanzten sich viele von ihnen in der Gefangenschaft nicht fort. Später entdeckte man, dass sich gewisse Tierarten der menschlichen Gegenwart unterwarfen und sich in der Gefangenschaft fortpflanzten. So wurde die Domestizierung der Tiere durch gezielte Züchtung gefördert, eine Kunst, die seit den Tagen Dalamatias große Fortschritte gemacht hat.
(778.7) 69:7.4 Der Hund war das erste domestizierte Tier. Die schwierige Erfahrung seiner Zähmung begann damit, dass ein bestimmter Hund, der einem Jäger einen ganzen Tag überallhin gefolgt war, tatsächlich mit ihm nach Hause zurückkehrte. Während ganzer Zeitalter brauchte man die Hunde als Nahrung, zum Jagen, zu Transportzwecken und als Gefährten. Zuerst heulten die Hunde nur, aber später lernten sie das Bellen. Der scharfe Geruchsinn des Hundes führte zu der Annahme, er könne Geister sehen, und so entstanden die Kulte mit Hundefetischen. Der Einsatz von Wachhunden ermöglichte es dem ganzen Klan zum ersten Mal, nachts zu schlafen. Später wurde es zur Gewohnheit, Wachhunde einzusetzen, um das Heim vor Geistern und wirklichen Feinden zu schützen. Wenn der Hund bellte, nahten sich Menschen oder Tiere, aber wenn der Hund heulte, waren Geister in der Nähe. Auch heute noch glauben viele, dass das Heulen eines Hundes in der Nacht den Tod anzeigt.
(778.8) 69:7.5 Solange die Männer Jäger waren, gingen sie mit ihren Frauen recht nett um, aber nach der Tierdomestizierung und unter dem Einfluss der durch Caligastia ausgelösten Verwirrung behandelten viele Stämme die Frauen aufs Schändlichste. Sie behandelten sie nur allzu sehr wie ihre Tiere. Die brutale Behandlung der Frau durch den Mann stellt eines der dunkelsten Kapitel der menschlichen Geschichte dar.
(778.9) 69:8.1 Der primitive Mensch hatte keine Bedenken, seine Gefährten zu versklaven. Die Frau war der erste Sklave, ein Familiensklave. Der Mann des Hirtenzeitalters versklavte die Frau als seine niedrigere Geschlechtspartnerin. Diese Art sexueller Versklavung war die unmittelbare Folge der geringeren Abhängigkeit des Mannes von der Frau.
(779.1) 69:8.2 Es ist noch nicht lange her, da war Versklavung das Los aller Kriegsgefangenen, die sich weigerten, die Religion des Siegers anzunehmen. In früheren Zeiten wurden Gefangene verzehrt, zu Tode gefoltert, gezwungen, gegeneinander zum Kampf anzutreten, den Geistern geopfert oder zu Sklaven gemacht. Sklaverei war ein großer Fortschritt gegenüber Massaker und Kannibalismus.
(779.2) 69:8.3 Die Versklavung war ein Schritt in Richtung einer barmherzigen Behandlung von Kriegsgefangenen. Der Hinterhalt von Ai mit seiner restlosen Niedermetzelung von Männern, Frauen und Kindern, bei welcher zur Befriedigung der Eitelkeit des Siegers nur der König verschont wurde, gibt ein getreues Bild von den barbarischen Schlächtereien, die sogar von angeblich zivilisierten Völkern verübt wurden. Der Ausfall gegen Og, den König von Baschan, war nicht minder brutal und radikal. Die Hebräer „vernichteten“ ihre Feinde „vollkommen“ und nahmen all ihren Besitz als Beute. Sie auferlegten allen Städten Tribut bei Strafe der „Tötung aller männlichen Einwohner“. Aber viele damalige Stämme mit geringerem Stammesdünkel waren seit langem dazu übergegangen, höher stehende Gefangene zu adoptieren.
(779.3) 69:8.4 Die Jäger — wie z. B. die amerikanischen roten Menschen — hielten keine Sklaven. Sie adoptierten oder töteten ihre Gefangenen. Bei den Hirtenvölkern war Sklaverei wenig verbreitet, da sie nicht viele Arbeiter benötigten. Im Krieg pflegten die Hirten alle gefangen genommenen Männer zu töten und nur die Frauen und Kinder als Sklaven mitzunehmen. Das mosaische Gesetzbuch enthielt besondere Anweisungen für den Fall der Heirat mit solchen gefangen genommenen Frauen. Wenn sie unbefriedigend waren, konnten sie weggeschickt werden, aber den Hebräern war es untersagt, diese verstoßenen Gemahlinnen als Sklavinnen zu verkaufen — das war wenigstens ein Zivilisationsfortschritt. Obwohl die sozialen Normen der Hebräer primitiv waren, lagen sie doch weit über denjenigen der Nachbarstämme.
(779.4) 69:8.5 Die Hirten waren die ersten Kapitalisten. Ihre Herden stellten das Kapital dar, und sie lebten von den Zinsen — von der natürlichen Vermehrung. Und sie mochten diesen Reichtum weder der Obhut von Sklaven noch von Frauen anvertrauen. Aber später nahmen sie männliche Gefangene und zwangen sie, den Boden zu bestellen. Das ist der frühe Ursprung der Leibeigenschaft — der Anbindung des Menschen an den Boden. Man konnte den Afrikanern leicht beibringen, den Boden zu bebauen; deshalb wurden sie zur großen Sklavenrasse.
(779.5) 69:8.6 Das Sklaventum war ein unerlässliches Bindeglied in der Kette der menschlichen Zivilisation. Es war die Brücke, über welche die Gesellschaft aus Chaos und Indolenz zu Ordnung und zivilisierten Aktivitäten überging; es zwang rückständige und faule Völker, zu arbeiten und dadurch den über ihnen Stehenden Reichtum und freie Zeit für sozialen Fortschritt zu verschaffen.
(779.6) 69:8.7 Die Einführung der Sklaverei zwang den Menschen, den regulierenden Mechanismus der primitiven Gesellschaft zu erfinden; sie gab den Anstoß zu den Anfängen einer Regierung. Sklaventum verlangt strenge Regelung, und sie verschwand während des europäischen Mittelalters praktisch, weil die Feudalherren die Sklaven nicht kontrollieren konnten. Die rückständigen Stämme früherer Zeiten hielten wie die heutigen australischen Ureinwohner nie Sklaven.
(779.7) 69:8.8 Es ist wahr, dass die Sklaverei drückend war, aber gerade in der Schule der Unterdrückung erlernten die Menschen den Arbeitseifer. Am Ende teilten die Sklaven die Segnungen einer höheren Gesellschaft, welche sie so widerwillig zu gründen mitgeholfen hatten. Die Sklaverei bringt eine Organisierung der Kultur und soziale Errungenschaften mit sich, aber bald greift sie die Gesellschaft von innen auf heimtückische Art an als schlimmste aller zerstörerischen gesellschaftlichen Krankheiten.
(779.8) 69:8.9 Die modernen mechanischen Erfindungen ließen den Sklaven überflüssig werden. Gleich der Polygamie ist die Sklaverei im Verschwinden begriffen, weil sie sich nicht mehr lohnt. Aber es hat sich immer als verheerend erwiesen, auf einen Schlag Sklaven in großer Zahl zu befreien; es gibt weniger Probleme, wenn sie schrittweise in die Unabhängigkeit entlassen werden.
(780.1) 69:8.10 Heute sind die Menschen keine gesellschaftlichen Sklaven mehr, aber Tausende erlauben ihrem Ehrgeiz, sie zu Sklaven von Schulden zu machen. Das unfreiwillige Sklaventum ist durch eine neue und verbesserte Form modifizierter industrieller Hörigkeit ersetzt worden.
(780.2) 69:8.11 Obwohl das Ideal der Gesellschaft universelle Freiheit ist, sollte Müßiggang nie geduldet werden. Alle körperlich tauglichen Personen sollten gezwungen werden, zumindest für den eigenen Unterhalt zu arbeiten.
(780.3) 69:8.12 Die moderne Gesellschaft macht eine Kehrtwendung. Die Sklaverei ist fast verschwunden; die domestizierten Tiere verlieren an Bedeutung. Die Zivilisation greift für ihren Energiebedarf auf das Feuer — auf die anorganische Welt — zurück. Der Mensch arbeitete sich aus der Wildheit mittels des Feuers, der Tiere und der Sklaven heraus; heute gibt er die Hilfe von Sklaven und Tieren auf, wendet sich zurück und versucht, den Vorräten der Naturelemente neue Geheimnisse und neue Reichtums- und Machtquellen zu entreißen.
(780.4) 69:9.1 Obwohl die primitive Gesellschaft praktisch gemeinschaftlich funktionierte, hielt sich der primitive Mensch nicht an die modernen Lehren des Kommunismus. Der Kommunismus dieser frühen Zeiten war nicht nur eine Theorie oder soziale Doktrin; er war eine einfache und praktische automatische Anpassung. Dieser Kommunismus verhinderte Armut und Not; Bettelei und Prostitution waren bei den alten Stämmen fast unbekannt.
(780.5) 69:9.2 Der primitive Kommunismus nivellierte die Menschen nicht eigentlich nach unten, noch feierte er die Mittelmäßigkeit, aber er belohnte Nichtstun und Trägheit, erstickte den Arbeitseifer und zerstörte den Ehrgeiz. Der Kommunismus war ein für den Aufbau der primitiven Gesellschaft unentbehrliches Gerüst, aber er musste der Herausbildung einer höheren sozialen Ordnung weichen, weil er vier starken menschlichen Neigungen zuwiderlief:
(780.6) 69:9.3 1. Die Familie. Der Mensch trachtet nicht nur nach Anhäufung von Besitz; er wünscht auch, seinen Nachkommen sein Vermögen zu hinterlassen. Aber in der frühen gemeinschaftlichen Gesellschaft wurde das Kapital eines Menschen bei seinem Tod entweder sofort aufgebraucht oder unter der Gruppe verteilt. Es gab keine Vererbung von Besitz — die Erbschaftssteuer betrug hundert Prozent. Die späteren Sitten der Kapitalanhäufung und Besitzesvererbung waren ein bedeutender sozialer Fortschritt. Und das stimmt trotz der späteren schweren Übergriffe in Verbindung mit missbräuchlich verwendetem Kapital.
(780.7) 69:9.4 2. Religiöse Tendenzen. Der primitive Mensch wollte sich Besitz auch als Grundstock für den Lebensanfang in der nächsten Existenz zulegen. Dieser Beweggrund erklärt, weshalb es so lange Brauch war, das persönliche Gut eines Menschen mit ihm zusammen zu begraben. Die Alten glaubten, dass nur die Reichen nach dem Tod unmittelbar in Freude und Würde weiterlebten. Die Lehrer offenbarter Religion, insbesondere die christlichen Lehrer, verkündeten zum ersten Mal, dass die Armen unter den gleichen Bedingungen wie die Reichen an der Errettung teilhaben können.
(780.8) 69:9.5 3. Der Wunsch nach Freiheit und Muße. In den früheren Zeiten sozialer Entwicklung war die Aufteilung der individuellen Einkünfte unter der Gruppe praktisch eine Form von Sklaverei; der Arbeitsame wurde zum Sklaven des Müßiggängers. Das war die selbstmörderische Schwäche des Kommunismus: Der Sorglose lebte gewöhnlich auf Kosten des Sparsamen. Sogar in der Neuzeit verlassen sich die Sorglosen auf den Staat (die sparsamen Steuerzahler), dass er für sie sorge. Diejenigen, die kein Kapital haben, erwarten immer noch von denen, die welches haben, sie zu ernähren.
(780.9) 69:9.6 4. Das Verlangen nach Sicherheit und Macht. Der Kommunismus wurde schließlich durch die betrügerischen Praktiken fortschrittlicher und erfolgreicher Einzelner zerstört, die im Bemühen, der Versklavung durch die unfähigen Faulenzer ihres Stammes zu entgehen, zu allerhand Listen Zuflucht nahmen. Aber anfangs hatte alles Horten im Geheimen zu geschehen; die herrschende Unsicherheit verhinderte eine sichtbare Anhäufung von Vermögen. Und auch in späterer Zeit war es überaus gefährlich, allzu großen Reichtum anzusammeln. Mit Sicherheit würde der König den Besitz eines reichen Mannes unter irgendeiner erfundenen Anklage beschlagnahmen, und wenn ein wohlhabender Mann starb, wurde das Begräbnis solange hinausgeschoben, bis die Familie eine für das öffentliche Wohl oder den König bestimmte große Summe, gewissermaßen eine Erbschaftssteuer, geschenkt hatte.
(781.1) 69:9.7 In frühesten Zeiten waren die Frauen Besitz der Gemeinschaft, und die Mutter beherrschte die Familie. Den ersten Häuptlingen gehörte alles Land, und sie waren die Besitzer aller Frauen; Heirat bedurfte der Zustimmung des Stammesoberhauptes. Mit dem Verschwinden des Kommunismus wurden die Frauen individuelles Eigentum, und allmählich übernahm der Vater die Führung der Familie. Das war der Anfang des Heims, und an die Stelle der vorherrschenden polygamen Sitten trat schrittweise die Monogamie. (Polygamie ist das in der Ehe fortlebende Element weiblicher Versklavung. Monogamie ist das sklavenfreie Ideal der unvergleichlichen Verbindung eines einzigen Mannes mit einer einzigen Frau im wunderbaren Unternehmen, ein Heim zu gründen, Kinder großzuziehen, sich gegenseitig zu kultivieren und sich selbst zu verbessern.)
(781.2) 69:9.8 Anfänglich war alles Eigentum einschließlich der Werkzeuge und Waffen Gemeinschaftsbesitz des Stammes. Privateigentum bestand zuerst aus allem, was man persönlich berührt hatte. Wenn ein Fremder aus einem Becher trank, gehörte der Becher fortan ihm. Danach wurde jeder Ort, an dem Blut geflossen war, Eigentum der verletzten Person oder Gruppe.
(781.3) 69:9.9 Also wurde Privateigentum ursprünglich deshalb geachtet, weil angenommen wurde, es sei mit einem Teil der Persönlichkeit seines Besitzers behaftet. Die Ehrlichkeit im Umgang mit Besitz ruhte sicher auf dieser Art Aberglauben; es brauchte keine Polizei, um persönliches Gut zu beschützen. Es gab keinen Diebstahl innerhalb der Gruppe, auch wenn die Menschen sich bedenkenlos das Gut anderer Stämme aneigneten. Die Beziehungen zum Besitz endeten nicht mit dem Tod; ganz früh wurden die persönlichen Gegenstände verbrannt, dann mit den Toten begraben und später von der überlebenden Familie oder vom Stamm geerbt.
(781.4) 69:9.10 Der ornamentale Charakter persönlicher Gegenstände hatte seinen Ursprung im Tragen von Amuletten. Eitelkeit in Verbindung mit Geisterfurcht ließ den frühen Menschen allen Versuchen widerstehen, ihn von seinen Lieblingsamuletten abzubringen, denen er einen viel höheren Wert beimaß als allem Lebensnotwendigen.
(781.5) 69:9.11 Die Schlafstelle war eine der ersten Besitzungen des Menschen. Später erhielt man die Wohnplätze von den Stammesführern zugewiesen, die allen Grundbesitz für die Gruppe treuhänderisch verwalteten. Bald darauf verlieh eine Feuerstelle Besitzrecht, und noch später gab eine Quelle Anrecht auf das umliegende Land.
(781.6) 69:9.12 Wasserlöcher und Quellen gehörten zu den ersten privaten Besitztümern. Sämtliche Fetischpraktiken wurden eingesetzt, um Wasserlöcher, Quellen, Bäume, Ernten und Honig zu beschützen. Nachdem der Glaube an die Fetische aufgegeben worden war, entwickelten sich Gesetze zum Schutz des Privateigentums. Aber Wildgesetze, des Recht zu jagen, gingen den Landgesetzen lange voraus. Die roten Menschen Amerikas konnten die Idee von privatem Landbesitz nie verstehen; der Standpunkt der weißen Menschen war ihnen unbegreiflich.
(781.7) 69:9.13 Privatbesitz wurde schon bald durch Familieninsignien kenntlich gemacht, und das ist der frühe Ursprung der Familienwappen. Grundbesitz konnte auch dem Schutz von Geistern unterstellt werden. Die Priester „weihten“ ein Landstück, und hinfort unterstand es dem Schutz der auf ihm errichteten magischen Tabus. Von einem solchen Besitzer sagte man, er habe ein „priesterliches Recht“. Die Hebräer hatten großen Respekt vor solchen Familiengrenzsteinen: „Fluch komme über den, der seines Nachbarn Grenzstein versetzt.“ Diese Marksteine trugen die Initialen des Priesters. Sogar Bäume konnten Privatbesitz werden, wenn sie Initialen trugen.
(782.1) 69:9.14 Ursprünglich waren nur die Ernten privater Besitz, aber aufeinander folgende Ernten verliehen ein Anrecht auf das Land; auf diese Weise ließ die Landwirtschaft den privaten Landbesitz entstehen. Einzelnen wurde anfänglich Besitz nur für die Dauer ihres Lebens zugestanden; bei ihrem Tod fiel das Land an den Stamm zurück. Die allerersten durch Stämme an Einzelne vergebenen Landrechte waren Gräber — Familiengrabstätten. In späterer Zeit gehörte das Land denen, die es einzäunten. Aber die Städte sahen immer bestimmte Landstücke für öffentliches Weiden und zur Benutzung im Belagerungsfall vor; diese „Allmenden“ stellen das Überbleibsel der früheren Form kollektiven Besitzes dar.
(782.2) 69:9.15 Schließlich wies der Staat dem Einzelnen Besitz zu, wobei er sich das Besteuerungsrecht vorbehielt. Nachdem sie ihre Rechte abgesichert hatten, konnten die Landbesitzer Pachtzinsen erheben, und das Land wurde zu einer Einkommensquelle — zu Kapital. Am Ende konnte man mit Land richtiggehend Handel treiben, mit Verkäufen, Übertragungen, Hypotheken und Zwangsvollstreckungen.
(782.3) 69:9.16 Privateigentum brachte größere Freiheit und erhöhte Stabilität; aber Privateigentum von Land erhielt erst gesellschaftliche Zustimmung, nachdem Kontrolle und Führung durch das Gemeinwesen versagt hatten, und ihm folgten bald in langer Reihe Sklaven, Leibeigene und landlose Klassen. Aber verbesserte Maschinen befreien den Menschen schrittweise von sklavischer Plackerei.
(782.4) 69:9.17 Das Recht auf Eigentum ist nichts Absolutes; es ist rein sozial. Aber in ihrer Gesamtheit sind Regierung, Gesetz, Ordnung, Bürgerrechte, gesellschaftliche Freiheiten, Konventionen, Friede und Glück, deren sich die modernen Völker erfreuen, rund um den Besitz von Privateigentum gewachsen.
(782.5) 69:9.18 Die gegenwärtige soziale Ordnung ist nicht notwendigerweise gut — noch göttlich oder heilig — aber die Menschheit wird gut daran tun, Änderungen nur langsam vorzunehmen. Das, was ihr habt, ist unendlich viel besser als irgendein System, das eure Vorfahren gekannt haben. Vergewissert euch, dass ihr die gesellschaftliche Ordnung, wenn ihr sie verändert, zum Bessern hin verändert. Lasst euch nicht überreden, mit den Verfahren zu experimentieren, die eure Vorväter aufgegeben haben. Geht vorwärts, nicht rückwärts! Lasst der Evolution ihren Lauf! Macht nicht einen Schritt zurück!
(782.6) 69:9.19 [Dargeboten von einem Melchisedek von Nebadon.]