(613.1) 54:0.1 DER evolutionäre Mensch hat Mühe, die Bedeutung von Ausdrücken wie: Übel, Irrtum, Sünde und Frevel ganz zu verstehen und ihren Sinn zuerfassen. Der Mensch braucht lange, bis er erkennt, dass der Kontrast zwischen Vollkommenheit und Unvollkommenheit die Möglichkeit des Üblen entstehen lässt; dass ein Konflikt zwischen Wahrheit und Falschheit verwirrenden Irrtum schafft; dass die göttliche Gabe des freien Willens die auseinanderklaffenden Reiche der Sünde und der Rechtschaffenheit ins Dasein ruft; dass dauerndes Streben nach Göttlichkeit in das Reich Gottes führt, im Gegensatz zu ihrer ständigen Ablehnung, die in die Gefilde der Frevelei führt.
(613.2) 54:0.2 Weder erschaffen die Götter das Üble, noch erlauben sie Sünde und Rebellion. Die Möglichkeit des Üblen existiert in der Zeit und in einem Universum, in dem es unterschiedliche Bedeutungs- und Wertebenen der Vollkommenheit gibt. Sünde ist in allen Reichen möglich, in denen unvollkommene Wesen mit der Fähigkeit ausgestattet sind, zwischen Gut und Böse zu wählen. Die konfliktreiche Gegenwart von Wahrheit neben Unwahrheit, von Tatsache neben Lüge enthält den potentiellen Irrtum. Die bewusste Wahl des Üblen bedeutet Sünde; die willentliche Zurückweisung der Wahrheit ist Irrtum; die unablässige Verfolgung von Sünde und Irrtum ist Frevel.
(613.3) 54:1.1 Von all den verwirrenden Problemen, die aus der Rebellion Luzifers erwuchsen, hat keines größere Schwierigkeiten verursacht, als das Unvermögen unreifer evolutionärer Sterblicher, zwischen wahrer und falscher Freiheit zu unterscheiden.
(613.4) 54:1.2 Wahre Freiheit ist das Streben der Zeitalter und die Belohnung des evolutionären Fortschritts. Falsche Freiheit ist der subtile Betrug des Irrtums der Zeit und des Üblen des Raums. Dauernde Freiheit beruht auf der Realität der Gerechtigkeit — auf Intelligenz, Reife, Brüderlichkeit und Billigkeit.
(613.5) 54:1.3 Freiheit ist eine selbstzerstörerische Technik kosmischer Existenz, wenn ihre Beweggründe unintelligent, hemmungslos und unkontrolliert sind. Wahre Freiheit steht in einer progressiven Beziehung zur Realität und achtet stets auf soziale Gerechtigkeit, kosmische Fairness, universelle Brüderlichkeit und göttliche Verpflichtungen.
(613.6) 54:1.4 Freiheit ist selbstmörderisch, wenn sie getrennt wird von materieller Gerechtigkeit, intellektueller Fairness, sozialer Nachsicht, sittlicher Pflicht und geistigen Werten. Es existiert keine Freiheit außerhalb der kosmischen Realität, und die ganze Realität einer Persönlichkeit steht im Verhältnis zu ihren Beziehungen mit der Göttlichkeit.
(613.7) 54:1.5 Ungezügelter Eigenwille und unkontrollierter Selbstausdruck sind dasselbe wie reine Selbstsucht, sind der Gipfel der Gottlosigkeit. Freiheit ohne eine damit einhergehende und immer zunehmende Selbstbemeisterung ist ein egoistisches sterbliches Fantasieprodukt. Auf selbstischen Beweggründen fußende Freiheit ist eine vorstellungsmäßige Illusion, ein grausamer Betrug. Zügellosigkeit, die sich als Freiheit verkleidet, geht elender Versklavung voraus.
(614.1) 54:1.6 Wahre Freiheit ist die Gefährtin echter Selbstachtung; falsche Freiheit ist die Gemahlin der Selbstbewunderung. Wahre Freiheit ist die Frucht von Selbstbeherrschung; falsche Freiheit ist anmaßende Selbstbehauptung. Selbstbeherrschung führt zu altruistischem Dienen; Selbstbewunderung neigt zur Ausnutzung anderer, und sie tut dies zur Selbsterhöhung eines solchen im Irrtum befangenen Wesens, das willens ist, auf rechtschaffenes Vollbringen zu verzichten, um ungerechte Macht über seine Mitmenschen zu erringen.
(614.2) 54:1.7 Sogar Weisheit ist nur dann göttlich und sicher, wenn sie einen kosmischen Horizont hat und wenn ihre Beweggründe geistiger Natur sind.
(614.3) 54:1.8 Es gibt keinen größeren Irrtum als jenen Selbstbetrug, welcher intelligente Wesen dahin bringt, nichts so sehr zu wünschen, als über andere Wesen Macht in der Absicht auszuüben, diese Personen ihrer natürlichen Freiheiten zu berauben. Die goldene Regel menschlicher Fairness protestiert laut gegen all solche Arglist, Selbstsucht und Negation von Fairness und Rechtschaffenheit. Nur wahre, echte Freiheit ist vereinbar mit der Herrschaft der Liebe und mit dem Wirken der Barmherzigkeit.
(614.4) 54:1.9 Wie können eigenwillige Geschöpfe es wagen, die Rechte ihrer Mitmenschen im Namen persönlicher Freiheit zu verletzen, wenn sogar die Höchsten Herrscher des Universums in gütigem Respekt vor diesen Vorrechten des Willens und vor dem Potential der Persönlichkeit zurücktreten! Kein Wesen hat in Ausübung seiner angeblichen persönlichen Freiheit das Recht, irgendein anderes Wesen dieser Privilegien der Existenz zu berauben, die von den Schöpfern verliehen worden sind und von all ihren treuen Mitarbeitern, Untergeordneten und Untergebenen in gebührender Weise hochgehalten werden.
(614.5) 54:1.10 Wohl haben die evolutionären Menschen auf einer Welt der Sünde und des Frevels oder während der frühen Zeiten einer primitiven, in Entwicklung begriffenen Welt gegen Tyrannen und Unterdrücker um ihre materiellen Freiheiten zu kämpfen, aber dem ist nicht so auf den morontiellen Welten oder auf den Sphären des Geistes. Der Krieg ist das Erbe des frühen evolutionären Menschen, aber auf Welten mit einer normal fortschreitenden Zivilisation ist physischer Kampf als Technik zur Begleichung rassischer Differenzen längst in Misskredit geraten.
(614.6) 54:2.1 Mit dem Sohn und in dem Geist entwarf Gott das ewige Havona, und seither gilt das ewige Urmuster koordinierter Teilhabe an der Schöpfung — das Teilen. Dieses Urmuster des Teilens zu verwirklichen ist Hauptziel jedes Sohnes und jeder Tochter Gottes, die in den Raum hinausziehen, um in der Zeit das Zentraluniversum ewiger Vollkommenheit nachzuschöpfen.
(614.7) 54:2.2 Jedes Geschöpf jedes sich entwickelnden Universums, das danach trachtet, des Vaters Willen zu tun, ist bestimmt, bei diesem wunderbaren Abenteuer erfahrungsmäßigen Erreichens der Vollkommenheit zum Partner der Schöpfer von Zeit und Raum zu werden. Wenn das nicht wahr wäre, hätte der Vater solche Geschöpfe kaum mit schöpferischem, freiem Willen begabt, noch würde er ihnen innewohnen, das heißt durch seinen Geist tatsächlich mit ihnen in Partnerschaft treten.
(614.8) 54:2.3 Luzifers Verrücktheit war, das Unmögliche versuchen zu wollen, in einem erfahrungsmäßigen Universum die Zeit zu umgehen. Luzifers Verbrechen war der Versuch, jede Persönlichkeit Satanias ihrer schöpferischen Möglichkeiten zu berauben, war die versteckte Beschneidung der persönlichen Teilnahme — der freiwilligen Teilnahme — der Geschöpfe am langen evolutionären Kampf, um sowohl individuell als auch kollektiv zum Status des Lichts und Lebens zu gelangen. Damit setzte dieser einstige Souverän eures Systems das zeitliche Vorhaben seines eigenen Willens direkt dem ewigen Vorhaben des Willens Gottes entgegen, wie dieser sich im Geschenk des freien Willens an alle persönlichen Geschöpfe offenbart. Die Rebellion Luzifers bedrohte also die Entscheidungsfreiheit der Aufsteiger und Diener Satanias mit der größtmöglichen Beschränkung — sie drohte, jedes dieser Wesen auf ewig der begeisternden Erfahrung zu berauben, mit etwas Persönlichem und Einmaligem zu dem sich langsam aufrichtenden Monument erfahrungsmäßiger Weisheit beizutragen, das dereinst als das vervollkommnete System von Satania existieren wird. So steht das Manifest Luzifers, das sich die Kleider der Freiheit umgeworfen hatte, hinfort im hellen Lichte der Vernunft als eine ungeheure Bedrohung da, die auf den Diebstahl der persönlichen Freiheit abzielt und dies in einem Maßstab, dem man sich in der ganzen Geschichte Nebadons nur zweimal genähert hatte.
(615.1) 54:2.4 Kurz gesagt hätte Luzifer den Menschen und den Engeln das, was Gott ihnen gegeben hatte, weggenommen, nämlich das göttliche Vorrecht, an der Schöpfung ihres eigenen Schicksals und des Schicksals dieses Lokalsystems bewohnter Welten teilzunehmen.
(615.2) 54:2.5 Kein Wesen im ganzen Universum hat die rechtmäßige Freiheit, irgendein anderes Wesen seiner wahren Freiheit zu berauben, seines Rechts zu lieben und geliebt zu werden, seines Privilegs, Gott anzubeten und seinen Gefährten zu dienen.
(615.3) 54:3.1 Immer wieder beschäftigt die sittlichen Willensgeschöpfe der evolutionären Welten die unüberlegte Frage, weshalb die allweisen Schöpfer Übel und Sünde zulassen. Sie können nicht verstehen, dass beide unvermeidlich sind, wenn das Geschöpf wahrhaft frei sein soll. Der freie Wille eines sich entwickelnden Menschen oder eines herrlichen Engels ist nicht nur eine philosophische Vorstellung, ein symbolisches Ideal. Die Fähigkeit des Menschen, zwischen Gut und Böse zu wählen, ist eine Universumsrealität. Diese Freiheit, auf sich selbst gestellt zu wählen, ist eine Gabe der Supremen Lenker, und sie werden keinem Wesen und keiner Gruppe von Wesen je erlauben, auch nur eine einzige Persönlichkeit im weiten Universum seiner göttlich geschenkten Freiheit zu berauben — auch nicht, um missgeleiteten und unwissenden Wesen die Befriedigung zu verschaffen, sich dieser falsch genannten persönlichen Freiheit zu erfreuen.
(615.4) 54:3.2 Obwohl bewusste und rückhaltlose Identifikation mit dem Übel (Sünde) gleichbedeutend mit Nichtexistenz (Auslöschung) ist, muss sich zwischen den Zeitpunkt einer solchen persönlichen Identifikation mit der Sünde und den Vollzug der Strafe — automatische Folge einer derartigen willentlichen Annahme der Sünde — stets eine genügend lange Zeitspanne schieben, um hinsichtlich des Universumsstatus eines solchen Individuums ein Urteil zu erlauben, das sich als für alle beteiligten Universumspersönlichkeiten völlig befriedigend erweisen wird, und das so fair und gerecht ist, dass es selbst die Zustimmung des Sünders erhalten kann.
(615.5) 54:3.3 Aber wenn ein solcher Rebell gegen die Realität von Wahrheit und Güte dem Verdikt seine Zustimmung verweigert, und wenn der Schuldige in seinem Herzen um die Gerechtigkeit seiner Verurteilung weiß, sich aber weigert, es einzugestehen, dann muss die Vollstreckung des Schuldspruchs gemäß dem freien Ermessen der Ältesten der Tage einen Aufschub erfahren. Denn die Ältesten der Tage lehnen es ab, irgendein Wesen auszulöschen, bevor in ihm alle sittlichen Werte und alle geistigen Realitäten erloschen sind, sowohl in diesem Übeltäter selber als auch in allen seinen Gefolgsleuten und möglichen Sympathisanten.
(615.6) 54:4.1 Ein anderes recht schwer erklärbares Problem der Konstellation Norlatiadeks sind die Gründe, weshalb es Luzifer, Satan und den gefallenen Fürsten erlaubt wurde, so lange Unheil zu stiften, bevor sie gefasst, interniert und gerichtet wurden.
(616.1) 54:4.2 Eltern, die Kinder in die Welt gestellt und aufgezogen haben, sind besser in der Lage zu verstehen, weshalb Michael, ein Schöpfer-Vater, sich so viel Zeit lässt, bevor er seine eigenen Söhne verurteilt und vernichtet. Jesu Geschichte vom verlorenen Sohn zeigt schön, dass ein liebender Vater lange auf die Reue eines verirrten Kindes warten kann.
(616.2) 54:4.3 Gerade der Umstand, dass ein Missetäter wählen kann, Übles zu tun — Sünde zu begehen — beweist die Tatsache der Entscheidungsfreiheit und rechtfertigt vollauf beliebig lange Fristen bei der Anwendung der Gerechtigkeit, vorausgesetzt, die zusätzlich gewährte Barmherzigkeit führt zu Reue und Rehabilitierung.
(616.3) 54:4.4 Die meisten der Freiheiten, nach denen Luzifer trachtete, besaß er bereits; weitere sollte er in der Zukunft erhalten. All diese kostbaren Gaben verlor er dadurch, dass er der Ungeduld nachgab und sich dem Wunsch überließ, das, wonach man sich sehnt, gleich zu besitzen und dies in Missachtung der Pflicht, die Rechte und Freiheiten aller anderen Wesen zu achten, welche das Universum der Universen bilden. Die ethischen Pflichten sind angeboren, göttlich und universal.
(616.4) 54:4.5 Wir kennen viele Gründe, weshalb die Supremen Lenker die Anführer der Rebellion Luzifers nicht unverzüglich vernichteten oder internierten. Es gibt dafür ohne Zweifel noch andere und möglicherweise bessere Gründe, die uns nicht bekannt sind. Michael von Nebadon persönlich hat bei der Vollzugsfrist der Gerechtigkeit den Aspekt der Barmherzigkeit stärker gewichtet. Ohne die Liebe dieses Schöpfer-Vaters für seine verirrten Söhne hätte die höchste Justiz des Superuniversums gehandelt. Wenn in Nebadon eine der Rebellion Luzifers vergleichbare Episode eingetreten wäre, während Michael in Menschengestalt auf Urantia weilte, wären die Urheber solchen Übels augenblicklich und absolut vernichtet worden.
(616.5) 54:4.6 Höchste Justiz kann augenblicklich handeln, wenn die göttliche Barmherzigkeit ihr nicht Einhalt gebietet. Aber das Walten der Barmherzigkeit für die Kinder von Zeit und Raum gewährt immer diesen zeitlichen Aufschub, dieses rettende Intervall zwischen Aussaat und Ernte. Wenn der gesäte Samen gut ist, bietet dieses Intervall Gelegenheit, den Charakter zu prüfen und aufzubauen; wenn der gesäte Samen schlecht ist, gewährt diese barmherzige Frist Zeit zu Reue und Berichtigung. Dieser zeitliche Aufschub der Verurteilung und Hinrichtung von Übeltätern ist dem Walten der Barmherzigkeit in den sieben Superuniversen inhärent. Die Bremsung der Gerechtigkeit durch die Barmherzigkeit beweist, dass Gott Liebe ist und dass solch ein Gott der Liebe über die Universen herrscht und Schicksal und Gericht all seiner Geschöpfe erbarmungsvoll überwacht.
(616.6) 54:4.7 Die Fristen der Barmherzigkeit werden durch Erlasse der aus freiem Willen handelnden Schöpfer gewährt. Aus dieser geduldigen Technik im Umgang mit sündigen Rebellen kann dem Universum Gutes erwachsen. Während es nur allzu wahr ist, dass für denjenigen, der auf Sünde sinnt und Übles unternimmt, aus dem Üblen nichts Gutes hervorgehen kann, ist es ebenfalls wahr, dass alle Dinge (einschließlich des potentiellen oder manifestiertenÜbels) zum Besten aller Wesen arbeiten, welche Gott kennen, aus Liebe seinen Willen ausführen und gemäß seinem ewigen Plan und göttlichen Vorhaben zum Paradies aufsteigen.
(616.7) 54:4.8 Aber diese barmherzigen Aufschübe sind nicht endlos. Trotz der (für urantianische Zeitbegriffe) langen Hinauszögerung der Urteilsfällung im Falle der Rebellion Luzifers können wir vermelden, dass während der Arbeit an dieser Offenbarung auf Uversa die erste Anhörung im hängigen Fall Gabriel contra Luzifer stattgefunden hat. Bald darauf erging ein Erlass der Ältesten der Tage, der Satans dauernde Einkerkerung mit Luzifer auf der Haftwelt verfügte. Das hat der Möglichkeit Satans, die gefallenen Welten Satanias weiterhin zu besuchen, ein Ende gesetzt. Die Justiz in einem von der Barmherzigkeit beherrschten Universum ist vielleicht langsam, aber sie ist sicher.
(617.1) 54:5.1 Von den vielen mir bekannten Gründen, weshalb Luzifer und seine Komplizen nicht früher interniert oder verurteilt wurden, ist mir erlaubt, die folgenden anzuführen:
(617.2) 54:5.2 1. Barmherzigkeit verlangt, dass jeder Missetäter genügend Zeit habe, um hinsichtlich seiner üblen Gedanken und sündigen Handlungen zu einer entschiedenen und reiflich überlegten Haltung zu finden.
(617.3) 54:5.3 2. Die höchste Gerechtigkeit wird von der Liebe des Vaters beherrscht; deshalb wird Gerechtigkeit niemals zerstören, was Barmherzigkeit retten kann. Jedem Übeltäter wird Zeit zugestanden, um die Rettung anzunehmen.
(617.4) 54:5.4 3. Kein liebevoller Vater zeigt je Eile, ein Mitglied seiner Familie wegen eines Vergehens zu bestrafen. Die Geduld kann nicht unabhängig von der Zeit funktionieren.
(617.5) 54:5.5 4. Übles Tun gereicht einer Familie immer zum Nachteil, aber Weisheit und Liebe halten die rechtschaffenen Kinder dazu an, einem verirrten Bruder Geduld entgegenzubringen, solange die vom liebenden Vater zugestandene Zeit währt, in der der Sünder seinen Irrtum einsehen und sich der Rettung zuwenden kann.
(617.6) 54:5.6 5. Unabhängig von Michaels Einstellung gegenüber Luzifer, und obwohl er dessen Schöpfer-Vater war, stand es dem Schöpfersohn nicht zu, den abtrünnigen Souverän des Systems summarisch abzuurteilen, da er damals seine Laufbahn der Selbsthingaben, die ihm die unbeschränkte Souveränität über Nebadon erst eintragen sollten, noch nicht abgeschlossen hatte.
(617.7) 54:5.7 6. Die Ältesten der Tage hätten die Rebellen unverzüglich vernichten können, aber sie richten Missetäter nur selten hin, ohne sich ihren Fall ausgiebig angehört zu haben. In dieser Angelegenheit lehnten sie es ab, sich über Michaels Entscheidungen hinwegzusetzen.
(617.8) 54:5.8 7. Es ist offensichtlich, dass Immanuel Michael riet, gegenüber den Rebellen auf Distanz zu gehen und der Rebellion zu erlauben, den natürlichen Lauf der Selbst-Auslöschung zu nehmen. Und die Weisheit des Einigers der Tage ist die Widerspiegelung in der Zeit der vereinten Weisheit der Paradies-Trinität.
(617.9) 54:5.9 8. Der Getreue der Tage Edentias riet den Konstellationsvätern, den Rebellen freien Lauf zu lassen, damit in den Herzen aller damaligen und zukünftigen Bürger Norlatiadeks — jedes sterblichen, morontiellen und geistigen Geschöpfs — nur umso früher alle Sympathie für die Missetäter ausgerottet würde.
(617.10) 54:5.10 9. Auf Jerusem riet der persönliche Repräsentant des Supremen Vollziehers Orvontons Gabriel, jedem lebendigen Geschöpf ausgiebig Gelegenheit zu geben, in den mit der Freiheitserklärung Luzifers zusammenhängenden Fragen eine ausgereifte, entschiedene Wahl zu treffen. Nachdem die Frage des möglichen Ausgangs der Rebellion aufgeworfen worden war, erklärte Gabriels Notberater aus dem Paradies, dass, sollte nicht allen Geschöpfen Norlatiadeks eine derartige vollständige und freie Gelegenheit geboten werden, dann als Selbstschutzmaßnahme die Paradies-Quarantäne gegen all solche potentiell halbherzigen und von Zweifeln geplagten Geschöpfe auf die ganze Konstellation ausgedehnt werden müsste. Um die Tore des Paradieses für die aufsteigenden Wesen Norlatiadeks offen zu halten, war es nötig, die Rebellion sich voll entwickeln zu lassen und sicherzustellen, dass jedes irgendwie davon betroffene Wesen zu einer vollkommen entschiedenen Haltung gelangen konnte.
(617.11) 54:5.11 10. Die Göttliche Ministerin von Salvington erließ als ihre dritte unabhängige Verlautbarung eine Weisung des Inhalts, dass nichts unternommen werden dürfe, um das abscheuliche Gesicht der Rebellen und der Rebellion halbwegs zu heilen, feige zu überdecken oder anderswie zu verbergen. Die Engelscharen wurden angewiesen, darauf hinzuarbeiten, dass die Sünde ins helle Tageslicht trete und unbeschränkt Gelegenheit erhalte, sich auszudrücken, weil dies die schnellste Technik zu einer vollständigen und endgültigen Heilung von der Geißel der Schlechtigkeit und Sünde sei.
(618.1) 54:5.12 11. Auf Jerusem wurde ein Notrat aus ehemaligen Sterblichen gebildet, der sich aus Mächtigen Botschaftern — verherrlichten Sterblichen, die in ähnlichen Situationen persönliche Erfahrungen gesammelt hatten — und ihren Kollegen zusammensetzte. Sie gaben Gabriel zu bedenken, dass mindestens dreimal so viel Wesen abirren würden, wenn willkürliche oder summarische Unterdrückungsmethoden versucht würden. Das gesamte Beraterkorps aus Uversa riet Gabriel einhellig dazu, der Rebellion ihren freien und natürlichen Lauf zu lassen, sollte es auch eine Million Jahre erfordern, um ihre Folgen zu liquidieren.
(618.2) 54:5.13 12. Auch in einem Universum der Zeit ist die Zeit etwas Relatives: Wenn ein urantianischer Sterblicher von mittlerer Lebensdauer ein Verbrechen beginge, das ein weltweites Pandämonium auslöste, und wenn er zwei, drei Tage nach begangener Untat gefasst, abgeurteilt und hingerichtet würde, käme euch das lang vor? Und doch wäre das, gemessen an Luzifers Lebensdauer, ein recht guter Vergleich, selbst wenn seine jetzt begonnene Aburteilung nicht vor hunderttausend Jahren Urantias abgeschlossen sein sollte. Aus der Sicht Uversas, wo der Streitfall hängig ist, könnte man, um die relative Zeitspanne anzugeben, etwa sagen, Luzifers Verbrechen sei zweieinhalb Sekunden nach seiner Begehung vor Gericht gebracht worden. Vom Paradies aus gesehen fällt die Aburteilung mit der Tat zusammen.
(618.3) 54:5.14 Es gibt eine ebenso große Anzahl weiterer Gründe gegen ein willkürliches Aufhalten der Rebellion Luzifers, die ihr teilweise verstehen könntet, die ich aber nicht anführen darf. Indessen kann ich euch mitteilen, dass wir auf Uversa achtundvierzig Gründe lehren, weshalb dem Übel erlaubt wird, frei seinem sittlichen Bankrott und seiner geistigen Auslöschung entgegenzulaufen. Ich zweifle nicht daran, dass es gerade noch einmal so viele zusätzliche, mir unbekannte Gründe gibt.
(618.4) 54:6.1 Welchen Schwierigkeiten evolutionäre Sterbliche bei ihren Bemühungen, die Rebellion Luzifers zu verstehen, auch begegnen mögen, so sollte doch allen, die darüber nachsinnen, klar sein, dass die Technik des Umgangs mit den Rebellen eine Rechtfertigung der göttlichen Liebe ist. Die den Rebellen erwiesene liebende Barmherzigkeit scheint tatsächlich über viele unschuldige Wesen Prüfungen und Not gebracht zu haben, aber all diese vom Wege abgeirrten Persönlichkeiten können sich in Sicherheit darauf verlassen, dass die allweisen Richter bezüglich ihres Schicksals einen ebenso erbarmungsvollen wie gerechten Entscheid fällen werden.
(618.5) 54:6.2 In ihrem ganzen Umgang mit intelligenten Wesen werden sowohl der Schöpfersohn als auch sein Paradies-Vater von Liebe beherrscht. Es ist unmöglich, viele Aspekte der Haltung der Universumsherrscher gegenüber Rebellen und Rebellion — Sünde und Sündern — zu verstehen, wenn man sich nicht daran erinnert, dass im Umgang der Göttlichkeit mit der Menschheit Gott als ein Vater den Vorrang vor allen anderen Phasen der Gottheitsmanifestation hat. Man sollte sich auch ins Gedächtnis rufen, dass sich alle Schöpfersöhne des Paradieses von Erbarmen leiten lassen.
(618.6) 54:6.3 Wenn der liebevolle Vater einer großen Familie beschließt, einem seiner Kinder, das sich einer schweren Verfehlung schuldig gemacht hat, Barmherzigkeit zu erzeigen, kann es wohl sein, dass die dem fehlbaren Kind gewährte Barmherzigkeit zeitweise allen anderen sich wohl verhaltenden Kindern Härten auferlegt. Solche Möglichkeiten sind unvermeidlich; ein solches Risiko ist untrennbar mit der Realität verbunden, einen liebenden Vater zu besitzen und Mitglied eines Familienverbandes zu sein. Jedes Familienmitglied profitiert vom rechtschaffenen Verhalten jedes anderen Mitgliedes; in gleicher Weise muss jedes Mitglied unverzüglich unter den zeitlichen Folgen des schlechten Betragens jedes anderen Mitglieds leiden. Familien, Gruppen, Nationen, Rassen, Welten, Systeme, Konstellationen und Universen sind Beziehungsgeflechte, die eine Individualität besitzen; und deshalb erntet jedes Mitglied jeder solchen großen oder kleinen Gruppe die Wohltaten der guten Handlungen und leidet unter den Folgen der schlechten Handlungen aller anderen Mitglieder der betreffenden Gruppe.
(619.1) 54:6.4 Aber eines sollte klar gemacht werden: Wenn ihr unter den üblen Folgen der Sünde eines eurer Familienmitglieder, eines Mitbürgers oder sterblichen Gefährten oder sogar einer Rebellion im System oder anderswo leidet — was immer ihr auch erdulden müsst infolge der Verfehlungen eurer Mitarbeiter, Gefährten oder Vorgesetzten — ihr könnt euch sicher in der ewigen Gewissheit aufgehoben fühlen, dass solches Leidwesen vorübergehender Natur ist. Keine der zwischenmenschlichen Folgen schlechten Betragens in der Gruppe kann eure ewigen Aussichten in Frage stellen oder euch im Mindesten eures göttlichen Rechts berauben, zum Paradies aufzusteigen und Gott zu erreichen.
(619.2) 54:6.5 Und es gibt Entschädigungen für all diese Prüfungen, Aufschübe und Enttäuschungen, die stets die Sünde der Auflehnung begleiten. Von den vielen wertvollen Rückwirkungen der Rebellion Luzifers, die man erwähnen könnte, möchte ich nur auf die gesteigerte Laufbahn jener sterblichen Aufsteiger und Bürger Jerusems hinweisen, die aufgrund ihres den Sophistereien der Sünde entgegengesetzten Widerstandes gute Aussichten haben, dereinst Mächtige Botschafter, Angehörige meiner eigenen Ordnung, zu werden. Jedes Wesen, das den Test jener schändlichen Episode bestand, beförderte dadurch unverzüglich seinen administrativen Status und erhöhte seinen geistigen Wert.
(619.3) 54:6.6 Zuerst schien der luziferische Aufstand für das System und das Universum eine vollendete Katastrophe zu sein. Aber allmählich mehrten sich die Gewinne. Nach fünfundzwanzigtausend Jahren der Zeitrechnung des Systems (zwanzigtausend Urantia-Jahren) begannen die Melchisedeks zu lehren, dass das aus Luzifers Verrücktheit resultierende Gute jetzt dem erlittenen Leid gleichkomme. Die Summe des Übels war zu diesem Zeitpunkt stationär geworden. Einzig auf gewissen isolierten Welten nahm es noch zu, während die segensreichen Auswirkungen fortfuhren, sich zu vervielfachen und sich über das Universum und das Superuniversum sogar bis nach Havona hin auszubreiten. Die Melchisedeks lehren jetzt, dass das aus der Rebellion Satanias hervorgegangene Gute mehr als die tausendfache Summe alles Bösen beträgt.
(619.4) 54:6.7 Aber solch eine außerordentliche und segensreiche Ernte der Missetat konnte sich nur einstellen dank der weisen, göttlichen und barmherzigen Haltung aller Vorgesetzten Luzifers, von den Vätern der Konstellation Edentias bis zum Universalen Vater im Paradies. Mit dem Vergehen der Zeit verstärkte sich das Gute, das sich aus Luzifers Verrücktheit ableiten ließ; und da das zu bestrafende Übel sich in einer vergleichsweise kurzen Zeit voll entwickelt hatte, ist es einleuchtend, dass die allweisen und weit blickenden Universumsherrscher sicher die Zeit verlängern würden, um immer segensreichere Resultate heranreifen zu lassen. Ungeachtet der vielen zusätzlichen Gründe, die den Aufschub der Verhaftung und Aburteilung der Rebellen Satanias nahe legten, würde allein dieser Gewinn hinreichend erklären, weshalb die Sünder nicht früher interniert und weshalb sie nicht gerichtet und vernichtet worden sind.
(619.5) 54:6.8 Die kurzsichtigen und der Zeit unterworfenen sterblichen Gemüter sollten die von den weit blickenden und allweisen Verwaltern der Universumsangelegenheiten angeordneten zeitlichen Aufschübe nicht leichtfertig kritisieren.
(620.1) 54:6.9 Ein Irrtum menschlichen Denkens hinsichtlich dieses Problems liegt in der Vorstellung, dass alle evolutionären Sterblichen eines sich entwickelnden Planeten sich für die Paradies-Laufbahn entscheiden würden, wenn Sünde ihre Welt nicht verflucht hätte. Die Fähigkeit, das Fortleben abzulehnen, geht nicht erst auf die Zeit der Rebellion Luzifers zurück. Der sterbliche Mensch hat von jeher die Gabe besessen, sich aus freiem Willen für die Paradies-Laufbahn zu entscheiden.
(620.2) 54:6.10 Während ihr in der Erfahrung des Fortlebens aufsteigt, werden sich eure Vorstellungen vom Universum erweitern und wird sich euer Horizont hinsichtlich von Bedeutungen und Werten ausdehnen; und ihr werdet besser verstehen, weshalb es Wesen wie Luzifer und Satan erlaubt wird, mit der Rebellion fortzufahren. Ihr werdet auch besser begreifen, wie letztenendes (wenn nicht sofort) Gutes aus dem zeitbegrenzten Bösen erwachsen kann. Nachdem ihr das Paradies erreicht habt, werdet ihr wirklich erleuchtet und bestärkt werden, wenn ihr die superaphischen Philosophen diese tiefen Fragen universaler Einstimmung behandeln und erklären hört. Aber selbst dann bezweifle ich, dass ihr in eurem Gemüt voll befriedigt sein werdet. Wenigstens war ich es nicht, auch nachdem ich so den Gipfel universeller Philosophie erreicht hatte. Ich gelangte nicht eher zu einem vollen Verständnis dieser Komplexitäten, als bis ich mit administrativen Aufgaben im Superuniversum betraut worden war, wo ich dank wirklicher Erfahrung die konzeptuelle Fähigkeit zum Verständnis dieser vielschichtigen Probleme kosmischer Gerechtigkeit und geistiger Philosophie erworben habe. Während ihr zum Paradies aufsteigt, lernt ihr immer mehr, dass man viele problematische Aspekte der Universumsverwaltung erst dann verstehen kann, wenn man bedeutendere erfahrungsmäßige Fähigkeiten erworben hat und zu einer höheren geistigen Schau gelangt ist. Kosmische Weisheit ist wesentliche Voraussetzung zum Verständnis kosmischer Situationen.
(620.3) 54:6.11 [Dargeboten von einem Mächtigen Botschafter, der die erste in den Universen der Zeit in einem System ausgebrochene Rebellion durchmachte, fortlebte, und jetzt der Superuniversumsregierung von Orvonton zugeteilt ist und diese Materie auf Ersuchen Gabriels von Salvington behandelt.]